Während der letzten zwanzig Jahre hat das Auftreten von Erkrankungen des Bewegungsapparates bei Junghunden, besonders der großen und raschwüchsigen Rassen, deutlich zugenommen.
Drei Säulen der Skelettentwicklung
Wir wissen heute, dass genetische Faktoren eine wichtige Basis dieser Entwicklung darstellen. Das Bemühen, große und repräsentative Tiere zu züchten, hat kontinuierlich zu
vermehrtem Auftreten von Hüiftgelenkdysplasie, Ellbogengelenkdysplasie, den verschiedenen Formen der Osteochondrose, deformierenden Wachstumsstörungen des Unterarmskelettes, Panostitis und anderen,
weniger häufig vorkommenden Störungen geführt. Die strikte Handhabung zuchthygienischer Maßnahmen wie Vorsorge Röntgenprogramme oder molekulargenetische Untersuchungen ist unabdingbar, um eine
genetisch möglichst unbelastete Population zu erhalten bzw. zurück zu gewinnen.
Die Ernährung des Welpen und Junghundes kann das Zutage treten dieser genetisch vorgegebenen oder durch eine genetisch festgelegte hohe Wachstumsgeschwindigkeit verursachten Krankheiten entscheidend
beeinflussen. Das Erkennen und die detaillierte Erforschung dieser Zusammenhänge hat zu bedeutenden Fortschritten bei der Vorbeuge schwerer Skelettentwicklungsstörungen geführt. So wurde mehrfach
bewiesen, dass besonders hohe tägliche Energieaufnahme und/oder ein hoher Kalziumanteil in den Futterrationen zu deutlich vermehrtem Auftreten von orthopädischen Erkrankungen führen. Das Ziel einer
modernen Junghundeaufzucht muss es daher sein, die genetisch vorgegebene Endgröße des Tieres langsam und unter Schonung des Bewegungsapparates, besonders der empfindlichen Wachstumsfugen und
Gelenkstrukturen, zu erreichen.
Rasches Wachstum führt einerseits zu einem unausgeglichenen Verhältnis zwischen Knorpel-, Knochen-, Bindegewebs- und Muskelsubstanz, andererseits zu einer übermäßigen Belastung dieser Strukturen
durch das wachstumsbedingt zu große Körpergewicht.
Es liegt auf der Hand, dass nicht nur die Körpermasse, sondern auch die Energie, die bei jedem Schritt oder Sprung auf Gelenke und Wachstumsfugen einwirkt, eine besondere Betrachtung verdient. Es
gilt als gesichert, dass intensives Training die Entstehung und Ausprägung chronisch degenerativer Gelenksentzündungen wesentlich fördert. Liegt in einem Gelenk eine milde Inkongruenz vor, kann sie
entweder über die Jahre in einem für das betroffene Tier durchaus harmlosen Rahmen gehalten werden, oder sie entwickelt sich in unterschiedlichem Tempo zu einer schmerzhaften Arthrose, die, wenn
überhaupt erfolgreich behandelbar, intensiver medizinischer oder chirurgischer Maßnahmen bedarf.
Beispielhaft seien einige Skeletterkrankungen, auf die dies besonders zutrifft, genannt.
Hüftgelenksdysplasie
Der Hüftgelenkdysplasie liegt eine genetisch vorgegebene Lockerheit der Hüftgelenke zugrunde. Diese kann beim Welpen bereits im Alter von 2 bis 18 Wochen auftreten. Der
lockere Sitz des Oberschenkelkopfes in der Pfanne führt zu zahlreichen Veränderungen wie Überdehnung der Gelenkkapsel, Schädigung des Knorpels am Rand der Hüftgelenkspfanne und Gelenkentzündung durch
die chronische Instabilität. So wichtig eine sich gut entwickelnde Muskelmasse für eine Stabilisierung des Hüftgelenks ist, so deutlich liegt es auf der Hand, dass nicht nur das im Welpen- und
Junghundealter gefährliche Übergewicht, sondern auch übermäßige Bewegung, besonders wenn auf hartem und rutschigem Boden ausgeführt, die teilweise oder komplette Luxation des betroffenen
Oberschenkelkopfes fördert. Die Folge ist ein vermehrtes Auftreten chronischer Entzündungszeichen wie Deformation von Pfanne und Oberschenkelkopf, Gelenkmausbildung und
Gelenkkapselverdickung.
Radius curvus
Schwere Vorderbeindeformationen wie eine gegenüber der dazugehörigen Elle zu lange und gebogene Speiche („Radius curvus") werden durch übermäßige Bewegung im Welpen¬ und
Junghundealter nicht nur gefordert, sie können durch Überbelastung geradezu ausgelöst werden.
Die handwurzelgelenksnahe Wachstumsfuge der Elle stellt nämlich eine anatomische Besonderheit dar. Sie ist nicht wie die Wachstumsfugen der anderen Röhrenknochen als scheibenförmige Knorpelstruktur
angelegt. Der untere, gelenksnahe Teil der Elle stellt vielmehr einen Trichter dar, in den der Schaft der Elle zapfenförmig einrastet. Die große Knorpelfläche dazwischen bleibt bis zu einem Alter von
etwa 7 Monaten sehr empfindlich und reagiert auf Traumen verschiedener Art durch Verknöcherung und damit Wachstums stillstand. Die Folge ist ein Zurückbleiben der Elle hinter der Speiche. Dies führt
wiederum unweigerlich zu einem Vorwölben der Speiche, zu einer Fehlstellung im Handwurzelgelenk und oft auch zur Stufenbildung im Ellbogengelenk. Die Behandlung eines frühzeitigen
Wachstumsstillstandes der Elle muss in viele Fallen chirurgisch erfolgen und stellt hohe Anforderungen sowohl an den Veterinärchirurgen als auch an den Besitzer.
Osteochondrosis dissecans
Rasches Wachstum ist die Basis für das Auftreten einer Entwicklungsstörung des Gelenkknorpels, die Osteochondrose genannt wird. Dabei unterbleibt die Umwandlung der tiefen
Gelenksknorpelschichten in Knochengewebe. Ein dicker Knorpel wird schlecht ernährt und kann in der Folge absterben, von seiner Unterlage abreißen und eine Gelenksentzündung verursachen. Diese
„Osteochondrosis dissecans" bezeichnete Erkrankung führt, besonders, wenn nicht oder nicht früh genug chirurgisch behandelt, zu schweren Abnutzungserkrankungen eines oder mehrerer Gelenke bei oft
noch relativ jungen Hunden, wobei intensives Bewegungstraining im Welpenalter die raschere Ausbildung von arthrotischen Knochenzubildungen im Gelenk erwiesenermaßen fördert. Die am häufigsten
betroffenen Gelenke sind Schulter, Ellenbogen, Knie und Sprunggelenke. Wenn mehrere Gelenke gleichzeitig betroffen sind, führt dies natürlich zu undeutlichen Lahmheitserscheinungen, die dann
gelegentlich nicht erkannt oder nicht ernst genommen werden.
Aufgrund ähnlich gelagerter Prädispositionen (Golden und Labrador Retriever, Rottweiler und andere raschwüchsige Rassen) tritt die Osteochondrosis dissecans nicht selten gleichzeitig mit
verschiedenen Erscheinungsformen der Ellbogengelenkdysplasie, wie dem fragmentierten Kronfortsatz der Elle, auf. Auch dieser Erkrankungskomplex ist speziell wegen der als Spätfolge auftretenden
Arthroseneigung gefürchtet.
Praktische Konsequenz
Der Bewegungsdrang eines Junghundes maskiert schmerzhafte Prozesse gerne, sobald mehr als eine Gliedmaße betroffen ist. Ein tollpatschiger Gang eines Jungtieres oder
„Hasenhüpfen", also das gleichzeitige Vorführen beider Hinterbeine, kann einen wichtigen Hinweis auf Gelenkserkrankungen darstellen und sollte auf keinen Fall als „Wachstumsschmerzen" abgetan,
sondern einem Spezialisten zur sorgfältigen Abklärung vorgestellt werden. Eine exakt gestellte Diagnose und, wenn angezeigt, eine frühzeitige Behandlung kann dem heranwachsenden Junghund nur
dienen.
Als Basis für einen gesunden und leistungsfähigen Bewegungsapparat muss Haltern von Junghunden empfindlicher mittelgroßer und großer Rassen - neben der Berücksichtigung gesunder Elterntierlinien -
dringend empfohlen werden, die Gewichtsentwicklung ihrer Tiere unter Verwendung speziell auf Junghunde abgestimmter Futterrationen sehr langsam und kontrolliert erfolgen zu lasen. Einer
kontrollierten Entwicklung der körperlichen Belastung kommt aber ebenfalls eine wichtige Bedeutung zu. Eine sich gut entwickelnde Muskelmasse unterstützt eine gesunde Entwicklung des gesamten
Bewegungsapparates, dennoch hat ihr Aufbau äußerst behutsam und relativ spät im Wachstum zu erfolgen. Weiche Knochensubstanz, anfällige, da sich rasch vermehrende Knorpelzellen in den Wachstumsfugen
und Gelenksknorpeln und noch weiche Bänder um die Gelenke, stellen ein empfindliches System dar. Früh eingetretene Schäden können sich das ganze Leben hindurch bemerkbar machen und behindernd
wirken.
Daher sollte extensives Herumtollen auf hartem Boden auch im Welpenalter vermieden werden, Spielen auf weichen, etwas dämpfenden Oberflächen wie Gras, Erde oder Teppich ist unbedingt vorzuziehen.
Sehr häufiges Treppensteigen bedeutet wiederholtes Prellen der Gliedmaßen und damit mögliche Schädigung der Knorpelstrukturen und im ersten Lebensjahr tunlichst unterbleiben. Ist dies nicht möglich,
wird ein langsames Treppabführen wesentlich besser toleriert als wildes Hüpfen unter übermäßiger Belastung besonders der Ellbogengelenke.
Spaziergange, für die Persönlichkeitsentwicklung des Welpen unbestrittener weise sehr wichtig, sollten im ersten Halbjahr kurz ge¬halten und nach Möglichkeit unter Vermeidung harten Bodens
unternommen werden. Gezieltes Lauftraining über mehrere Kilometer darf erst relativ spät einsetzen. Als frühester Zeitpunkt wird heute ein Alter von etwa elf Monaten betrachtet. Selbst kleine Sprünge
sollten vorher nicht regelmäßig trainiert werden. lntensives Springtraining sollte nicht vor 12 his 14 Lebensmonaten, also erst bei Abschluß des Körperwachstums erfolgen. Dauerleistungen, wie sie
etwa das Herlaufen neben einem Fahrrad für zehn oder mehr Kilometer darstellen, werden wahrscheinlich erst 2 bis 3 Monate später ohne Gefahr für das Skelettsystem toleriert.